Embodiment – Kein Denken ohne Körper
Warum das Still sitzen so falsch ist.
Still sitzen und zuhören, schreiben und lesen ist laut aktuellen Erkenntnissen von verschiedenen Kognitionswissenschaftlern das absolut Falsche.
Es ist schon interessant, dass wir beim Lehren im Kindergarten ganz anders vorgehen. In Spielgruppen wird geknetet, gebastelt, gebaut, gesungen, getanzt und die Natur unter anderm im Matsch erlebt.
Leider geht dieses Erleben des Lernstoffs in der Schule immer mehr verloren. Die Schülerinnen und Schüler machen kaum beziehungsweise keine körpereigenen Erfahrungen mehr.
Neurowissenschaftliche und psychologische Studien beweisen, dass alle Menschen mit eigenem Körpereinsatz viel besser Vokabeln, Mathematik und vieles mehr lernen.
Räumliches Denken – angeboren oder trainierbar?
Ein sehr häufiges Thema in unseren Coaching-Sitzungen ist das räumliche Vorstellungsvermögen, welches häufig in der Mathematik (allerdings auch für viele andere Bereiche) benötigt wird.
Oft wird in diesen Fällen die Aussage getroffen: „Das räumliche Vorstellungsvermögen liegt ihr/ihm einfach nicht – das ist leider so und kann man eben nicht ändern.“
Dem ist allerdings überhaupt nicht so. Dank 217 Studien an Kindern und Erwachsenen weiß man heute, dass auch das räumliche Vorstellungsvermögen trainierbar ist.
Die Psychologin Sharlene Newman gab Achtjährigen ein Spiel, bei dem sie möglichst schnell Bauwerke mit Holzklötzchen nach Vorlagen konstruieren mussten. Wer am schnellsten das Bauwerk fertig hatte, gewann den Wettbewerb. Nach der sehr kurzen Trainingszeit von zweieinhalb Stunden konnten die Schüler Aufgaben aus dem Bereich der Rotationstechnik viel leichter und besser lösen. Parallel dazu veränderte sich auch ihre Hirnaktivität: Die Hirnareale, welche für das räumliche Denken in Verbindung gebracht werden, wurden vermehrt genutzt. (Quelle: Artikel „Lernen mit dem Körper in der Zeitschrift Gehirn & Geist).
Was für eine schöne und beruhigende Erkenntnis, oder? Das bedeutet, wenn wir einer Schülerin oder einem Schüler das räumliche Denken erleichtern wollen, dürfen wir mit ihnen spielen. Ja, tatsächlich wenden wir im Coaching und Training immer sehr viele Spiele an. Was dabei jedesmal auffällt ist, dass unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich sehr schnell sehr viel merken. Als Feedback bekommen wir regelmäßig zu hören „es war so schön, wir spielen und lachen immer“.
Als mögliche Trainingsspiele für das räumliche Denken empfehlen wir zum Beispiel das Spiel „Make n Break“, „Lego Creationary“ und ähnliche.
Wie schön, dass wir sehr spielerisch ein angeblich irreparables Verständnis für räumliches Sehen trainieren können, oder?
Das ist das, was wir zuhause tun können. Die Frage ist natürlich, warum werden diese Erkenntnisse nicht in der Schule umgesetzt. Ist es aus Unwissenheit oder aus Zeitgründen? Vielleicht liegt es auch an sehr vielen zum Teil auch schon sehr alten Vorbehalten aus der Pädagogik, in der man Körper und Geist strikt trennte.
In den vergangenen 20 Jahren entstand eine neue Sichtweise – die Embodiment-Theorie (engl. Verkörperung).
Die Psychologin Margaret Wilson von der University of California erklärt, dass kognitive Prozesse in der Interaktion des Körpers mit der Umwelt tief verwurzelt sind. Auch neurowissenschaftliche Untersuchungen unterstützen diese Erkenntnis.
Tatsächlich können wir alle dieses Zusammenspiel sehen und erkennen. Denken wir nur einmal an das Sprechen lernen bei kleinen Kindern. Unsere Kinder lernen durch zuhören, nachahmen und – ganz wichtig – sie nehmen Bezug zum Objekt auf. Das bedeutet, sie fassen die Dinge an, die sie benennen, lassen sie fallen, nehmen sie in den Mund, riechen daran und vieles mehr.
So verbinden sich nach und nach Neuronen in haptischen und visuellen Hirnbereichen.
Nehmen wir als Beispiel mal eine Banane und das Wissensnetz in unserem Kopf zu dieser Obstsorte. Hören wir das Wort „Banane“, rufen wir im Kopf völlig automatisch alles ab, was wir zur Banane wissen. Das Gefühl, wie sich die Schale und die Banane anfühlt, die Optik, den Geschmack, den Geruch, das Kauen und und und.
Allein daran sehen wir, dass wir unsere Muttersprache zusätzlich sensomotorisch abspeichern – nicht nur als Wortbild oder Symbol.
Das gleiche resultiert, wenn wir ein Musikstück erinnern oder ein Bild. Genauso auch, wenn wir philosophieren. Immer wird eine Vielzahl von Hirnregionen aktiv – sensorische und motorische Areale.
Vokabeln lernen
Was für eine tolle Erkenntnis. Dann dürfen wir das auch beim Vokabeln lernen einsetzen, oder? Wie gelingt das ganz einfach?
Eine Strategie, die wir schon sehr lange einsetzen, ist, das entstehende Bild zur Vokabel-Bedeutung zu malen. Das bedeutet zum Beispiel für die Vokabel „apologize“, welche im Englischen für „entschuldigen“ steht, zwei Menschen, die sich die Hand reichen oder einer von beiden die Hände zu „Gebetshänden“ formt und sich verbeugt.
Zusätzlich ist es sehr gut, wenn Gesten vor, beziehungsweise selbst gemacht werden. Das bedeutet, eine Geste passend zur Vokabel. Das könnte ein Beschreiben der Vokabel sein wie zum Beispiel „House“ für Haus, welches wir mit den Händen in die Luft zeichnen. Oder auch das Erfahren/Spüren wie bei der Vokabeln „cold“ für kalt, indem wir bibbern und die Arm eng vor der Brust verschränken.
Warum werden dadurch die Vokabeln schneller gelernt und vor allem nachhaltig behalten?
Beim Wissensaufbau geht es für uns immer um die angelegte Vernetzung im Gehirn – je mehr Vernetzungen, umso besser gemerkt. Je mehr Hirnareale beteiligt, umso besser behalten.
Das schöne an den oben genannten Strategien ist, dass sie nicht wirklich zeitaufwändiger sind, als die Standard-Vokabel-Lernmethode. Ganz im Gegenteil, sie ist sogar Zeit sparend.
Zusammengefasst lässt sich sagen, wer Vokabeln malt und mit Gesten darstellt lernt diese definitiv leichter, nachhaltiger und hat sehr wahrscheinlich auch jede Menge Spaß dabei.
Und was ist mit Physik, Chemie, Biologie und den anderen Fächern?
Interessant ist, dass auch in diesen Bereichen verschiedene Studien erfolgten. Und auch hier überzeugten die Ergebnisse mit Gesten zu vermitteln und die Schüler und Studenten beim Lernen gestikulieren zu lassen.
Denken ist kein abstraktes Phänomen. Lernen wird einfach, wenn wir Körper und Geist einsetzen.
Hast Du für uns ein Thema, welches Du gerne sensomotorisch umsetzen würdest? Dann schreibe uns gerne an team@genialico.de. Sehr gerne senden wir Dir einen Vorschlag zu.
Wir sind der Meinung: Schule, Ausbildung und Studium darf deutlich „bewegter“ werden.
Herzliche Grüße
Deine
Alexandra Aldinger
Lerncoach und Gedächtnistrainerin
Kinder- und Jugendcoach
Lerncoach- und Azubi-Coach Ausbilderin
Liebe Alexandra. Schön, dass Du das hier aufgreifst. Spätestens seit Descartes (und das ist eine Weile her…) hat sich in unserer Gesellschaft die Trennung von Körper und Geist durchgesetzt.
Alleine über die Forschung im Bereich der psychoneuroimmunologie können wir zeigen, wie stark sich Gedanken auf den Körper auswirken.
Doch wirkt es sich in beiden Richtungen aus. Diese Wechselwirkungen aktiv zu nutzen, das habe ich praktisch nie erlebt in Schule oder Studium.
Schade. Sehr schade.
Weißt du von Modellen und Übungs, die für Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene angewendet werden?
Lieber Andreas,
schön, von Dir zu lesen. Ja, wir wenden aktiv solche Übungen in unseren Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsenen an – und vermitteln diese natürlich auch in unseren „Lehrer-/Ausbilder-/Trainer-/Coach-Seminaren und -Ausbildungen“.