Meine Schulzeit auf dem Gymnasium
Ich erinnere mich noch genau an diesen Moment als ich in der 5. Klasse meines Gymnasiums saß und der Lehrer langsam darüber referierte was er gestern gemacht habe.
So berichtete er unter anderem, dass er mit dem Vater eines Mitschülers gestern unterwegs war und die Mutter eines Klassenkameraden beim Sport getroffen habe.
Um die Verbundenheit mit diesen Menschen zu unterstreichen, suchte er den Blickkontakt zu den Kindern der jeweiligen Eltern. Diese fühlten sich in ihrem Sein bestätigt.
Irgendwann spürte ich, dass sich sein Blick auf mich richtete, dabei wurde mir siedend heiß und kalt zugleich.
Instinktiv schoss mir durch den Kopf, dass der Lehrer wahrlich nicht mit meinem Vater, der ein Arbeiter war und einen ganz anderen Bekanntenkreis hatte, unterwegs war.
Auch meine Mutter konnte er unmöglich beim Sport getroffen haben, denn sie betätigte sich nicht auf diesem Feld.
Gleichzeitig erkannte ich schlagartig, dass ich ein Aussenseiter in dieser Klasse war, denn weder ich noch meine Familie konnten irgendetwas dazu besteuern, dass ich mich „dazugehörig“ wähnte und fühlte mich durch den abschätzenden Blick des Lehrers bestätigt.
Was hatte ich also dort, in diesem illustren Kreis der „besser verdienenden Menschen“, zu suchen?
Ich schämte mich wegen meiner Herkunft. Spürte in mir eine Unruhe und Angst und ein Gefühl der Leere aufkommen.
Immer wieder wurde mir im Laufe der Jahre, mal mehr oder weniger plakativ klar gemacht, dass ich auf diesem Gymnasium, aufgrund meiner Herkunft, nichts zu suchen hätte.
Dadurch erwuchs in mir während der Schulzeit, ein „Fremdheitsgefühl“, das „Wissen“ darum „anders“ zu sein. Nicht dazu zu gehören.
Daraus resultierend wurden auch die Noten sukzessive schlechter und eines Tages fand ich mich, auf der anderen Seite des Zaunes, nämlich in der Realschule, wieder.
Arbeiterkinder auf dem Gymnasium
Das Bruttoinlandsprodukt wächst seit Jahrzehnten rasant, dabei stagniert jedoch das Niveau von Arbeiterkindern am Gymnasium schon seit mehr als dreißig Jahren.
Die Bildungschancen sind heute in etwa so ungleich verteilt wie zur Adenauer – Zeit, dabei ist der Bildungserfolg in gleichem Maße wieder hauptsächlich abhängig vom Elternhaus.
Nicht einmal ein Prozent aller Kinder aus Arbeiterfamilien schafft es später, in einer Firma leitender Angestellter zu werden.
Dagegen schaffen es leitende Angestellte ohne allzu große Mühen, dass zwei Drittel ihrer Kinder eine vergleichbare berufliche Position zu erobern.
Chancengleichheit in Deutschland
Während die Abhängigkeit des Bildungserfolges vom sozioökonomischen Status der Eltern sowie von der ethnischen Zugehörigkeit in fast allen Ländern der OECD in den letzten beiden Jahrzehnten gesunken ist, gehört Deutschland zu den Ländern, in denen der Einfluss des sozioökonomischen Hintergrundes am größten ist.
Das heißt, dass fast überall auf der Welt der Bildungsabschluss der Kinder nicht mehr unmittelbar mit dem Reichtum der Eltern zu tun hat – ausser in Deutschland.
Mir erscheint es so, dass die soziale Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen Schichten kein Manko ist, sondern so gewollt ist.
Die Selektion tritt schon früh ein und manch eine/r scheint schon mit der Geburt das Recht auf Chancengleichheit verwirkt zu haben.
Stattdessen winkt ein vorbestimmter Weg, der schon früh festgelegt wurde.
Hinter jeder Ungerechtigkeit stecken handfeste Interessen und es scheint nur noch um die Verteidigung von Privilegien zu gehen.
Und das ist ein Skandal und darf so nicht weiter toleriert werden!
Fazit :
Gute Bildung für alle ist möglich. Jede und jeder muss daran teilhaben können. Die finanzielle Situation, die Herkunft und der Bildungsstand der Eltern dürfen nicht über die Zukunft der Kinder entscheiden. Dabei dürfen Kinder von Einwanderern, behinderte und chronisch kranke Kinder nicht diskriminiert werden. Die Bildung darf so organisiert sein, dass alle Kinder gut lernen können – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Denn dann gelingt es, den Kindern vorurteilsfrei zu begegnen und, entgegen meinem Fall, objektiv zu beurteilen.
Eine schöne Zeit
wünscht Ihr
Michael Müller
Lerncoach, Gedächtnistrainer und Autor
Lerncoach- und Azubi-Coach-Ausbilder