Frank (Name geändert!), der 19-jährige Auszubildende in einem Spengler-Betrieb in der Oberpfalz kam zu uns zum Einzelcoaching. Die Inhaber des Ausbildungsbetriebes hatten Ihren kleinen Sohn Stefan bei uns im Coaching und empfahlen uns den Eltern von Frank.
Frank, der Auszubildende, der laufend sein Berichtsheft vergaß, sich nichts merken konnte und dem, so schien es, alles egal ist.
Wir fragten nach einem geeigneten Coaching-Raum für dieses Einzelcoaching und die Mutter von Frank schlug die Spenglerei vor. Die Inhaber waren sehr aufgeschlossen, sehr nett und vor allem baten sie uns gerne Ihre Räumlichkeiten an. So saßen wir, Michael Müller und ich, dann im Schaufenster einer Spenglerei, zwischen Badewanne, Handtuchwärmer und Armaturen. Schon lustig, an welchen Orten wir überall coachen :-).
Frank beschrieb uns seine Themen:
– stark schwankende Noten
– erklärte Arbeitsabläufe, die er sich nicht merken kann
– Berichtsheft regelmäßig abliefern
Zuerst wollten wir von Frank mindestens 7 Stärken wissen und hier begann es schon spannend zu werden. Es war richtig toll, denn Frank war sich seiner Stärken sehr bewusst. Er sagte sogar: „Ich sehe sehr gut aus. Immer, wenn ich an Schaufenstern vorbei gehe, sehe ich, wie gut ich aussehe.“ Das geschieht in Coachings ziemlich selten und wir schmunzelten bei dieser Aussage. Tatsächlich finden wir es sehr gut, wenn Menschen sich ihrer Stärken bewusst sind.
O.k. dann erarbeiteten wir mit Frank seine Ziele. Zum einen in der Ausbildung zum anderen in den nächsten 5 Jahren. Denn, was uns von Anfang an auffiel: Frank war absolut freundlich, zuvorkommend und wirkte absolut motiviert. Was er uns allerdings in Bezug auf seine Ausbildung erzählte, hörte sich sehr wenig motiviert an. Es fühlte sich so aufgesetzt an. Gefühlt erlebte ich ihn als hätte ihm jemand gesagt, so funktioniert und läuft das Leben, damit darfst du dich abfinden, da musst du durch, das Leben ist nunmal kein Wunschkonzert. In mir entstand das Gefühl von „ohje, wie schrecklich“.
Seine Ziele waren: ich schaffe die Ausbildung, arbeite dann weiter hier im Betrieb und bleibe erstmal bei meinen Eltern wohnen. Dann werde ich mit meiner Freundin in ein Haus ziehen, auch in diesem Dorf und kann dann zu Fuß zur Arbeit gehen. Wir werden auch Kinder haben, Karriere ist für mich nicht wichtig, Hauptsache, wir können einigermaßen leben.
Wie ist das denn mit Deinem Berichtsheft, fragten wir Frank in unserem Coaching. „Tja, das ist ja meine Mutter schuld, sie vergisst immer, mich zu erinnern.“ Uih, meine Gedanken: wow, 19 Jahre und die Mama darf ihn an das Berichtsheft und Co. erinnern. Auch an sämtliche Arzttermine ,sagte er uns.
Im weiteren Gespräch stellte sich klar und deutlich heraus, dass die Mutter von Frank ihm sehr nah war und ihm wahnsinnig viel abnahm. Dazu kam, dass er die Ausbildungsstelle bekommen hatte, weil seine Eltern mit den Inhabern befreundet waren und sind. >> Wieder ein innerliches „Ups“.
Wir fanden den Lerntyp heraus, zeigten Frank Lernstrategien, die zu ihm passten, setzten noch den Lernturbo „Gedächtnistraining“ darauf und er war begeistert, wie viel er sich in so kurzer Zeit merken konnte.
Dann kamen wir zurück auf das Thema Berichtsheft. Wir saßen ja immer noch im Schaufenster 😉 und die Tür zum Büro des Ausbilders stand die ganze Zeit offen. Plötzlich stand Herr Buchenrieder (Name geändert!), der Ausbilder, mit in dem Schaufenster und fing an lauthals über Frank zu reden, zu schimpfen und zu fluchen. Unsere Augen wurden groß und wir waren über diese Art und Weise sehr überrascht. Herr Buchenrieder sagte viel über die Unzuverlässigkeit und das es so nicht weiterginge. Er würde ihn am liebsten rausschmeißen und fand das Verhalten von Frank „unter aller Kanone“ (das war nicht sein Ausdruck, aber den echten Wortlaut möchte ich hier nicht schreiben ;-)!).
Wir baten Herrn Buchenrieder uns mit Frank wieder allein zu lassen. Dabei schlossen wir die Tür zu seinem Büro ;-). Wir fragten Frank noch mal, wie ihm die Ausbildung gefalle und ob er sich seinen Traumberuf so vorstelle. Überraschenderweise antwortete er mit: „ja, mir gefällt es hier super und ich kann mir vorstellen, hier bis zur Rente zu arbeiten.“ Innerlich war ich entsetzt und absolut skeptisch. Ausserdem fühlte sich diese Aussage so „unecht“ an und uns war klar, das ist eine eindeutiger Fall von „ich mache es meinen Eltern recht“ und „ich habe zu mir keine eigene Meinung, kein Gefühl“.
Zurück zum Berichtsheft: Frank behauptete doch tatsächlich allen Ernstes, dass seine Mutter für das Vergessen verantwortlich sei. Jetzt war es an der Zeit, den „Kuschel-Coaching-Modus“ umzuschalten, denn auf diese Art und Weise würden wir bei Frank keine Veränderung bewirken. Das bedeutete intuitiver Wechsel zum netten, freundlichen provokativen Coaching-Stil. Im Gespräch erwähnte Frank kurz, dass er mit einigen Freunden im Urlaub war. Ich sagte dann zu ihm: „…. deine Mutter war auch im Urlaub dabei, muss sie ja. Sie musste dir ja sagen, dass du zum Strand die Badehose anziehst und an das Handtuch denkst. Das geht ja alleine gar nicht und wenn Du abends „auf die Spur gehst“, dann kommt sie auch mit, sonst würdest Du ja nie wissen, wie du nach Hause kommst. Das ist das, was du als 19-Jähriger auf alle Fälle brauchst, die Unterstützung Deiner Mutter.“ Frank blickte zuerst irritiert, dann lachte er – wir grinsten und blieben dabei – und dann reagierte er. Er sagte uns, nein, er brauche seine Mutter nicht im Urlaub. Als wir dann auf das Berichtsheft kamen, willigte er ein, dass es allein seine Verantwortung wäre. Unsere klare und direkte Aussage an ihn war: „Es ist ganz klar deine Aufgabe, an das Berichtsheft zu denken. Jegliche Konsequenzen darfst du tragen, denn es hat nur mit dir zu tun, deine Mutter hat die Ausbildung schon hinter sich. Du bist selbst zu 100% für Dein Leben verantwortlich.“
Die zweite Coaching-Sitzung verlief ähnlich – auch die dritte. Frank machte im Lernen deutliche Fortschritte und doch war immer wieder erkennbar, dass es deutlich an Motivation fehlte. Für uns war völlig klar, dass die vorgegebenen Ziele überhaupt nicht seine eigenen Ziele waren, sondern die seiner Eltern beziehungsweise seiner Mutter. Wenn wir über Hobbys oder ähnliches sprachen, war die Motivation deutlich zu spüren, auch bei dem Thema „Freunde & Weggehen“ und vielen anderen Themen. Nur beim Thema Ausbildung spielte Frank eine Rolle und das zwar gut, aber nicht überzeugend. Er zuckte noch nicht einmal, als wir sagten, wir empfehlen dir, diese Ausbildung abzubrechen. Aufhebungskündigung und dann hin zu einem Job, den Du wirklich gerne und leidenschaftlich machen möchtest. Das lehnte er ruhig ab.
Dabei fällt mir gerade ein: wir haben im letzten Jahr 250 Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen in verschiedenen Schulen zu IHREM Beruf gecoacht. Es war erschreckend, wie diese jungen Menschen sich einen Beruf aussuchten. „Da kennen meine Eltern den Personalchef“, „In dem Job verdient man viel Geld“ sind die Aussagen, die wir immer und immer wieder hörten. Und zum Thema „Verdient man viel Geld“ sei gesagt: „Nicht lange, denn wenn du einen Job nur wegen des Verdienstes machst, ungern ausübst, dann wirst du in diesem Job nicht lange Geld verdienen. Jeder gute Chef stellt fest, dass die Leidenschaft fehlt. Und wir sind der festen Überzeugung, dass es sogar umgekehrt ist, weil wir es so erlebt haben und immer noch erleben. Wenn Du einen Beruf leidenschaftlich ausübst, dafür brennst, was du tust, dann wirst du darin garantiert erfolgreich sein.
Aber das nur am Rande – sorry, mir fallen einfach immer wieder Geschichten ein, die in Verbindung mit anderen Erlebnissen stehen. So hier jetzt bei Frank. Ich glaube, wenn er seinen Ausbildungsberuf wirklich selber gewählt hätte, wäre er nie in dieser Spenglerei „gelandet“ und in dieser Abwärtsspirale.
Was natürlich erschwerend hinzukam und uns im Laufe der Coachings-Zeit auffiel, war, dass von Ausbilder-Seite die Konsequenzen laut und deutlich angedroht wurden, jedoch nicht einmal eine Konsequenz erfolgte. Wichtig ist, wenn ich bei Nichteinhaltung von bestimmten Dingen Konsequenzen androhe, dann MUSS ich sie auch ausführen. Sonst haben diese keinerlei Bedeutung, sind nur leeres Gerede und nicht mehr.
Wichtig war uns dann das Gespräch mit der Mutter. Ihm wurde immer und immer wieder die Verantwortung in bestimmten Bereichen abgenommen. Die Mutter hatte ihn an Arzttermine erinnert, ihm das Berichtsheft vorgelegt und eingepackt und so weiter. Selbst die Konsequenzen wurden teilweise von der Mutter übernommen. Natürlich fühlten sich sowohl die Eltern von Frank als auch die Inhaber der Spenglerei nicht gut mit der Situation. Mit Frank hatten wir bereits im ersten Coaching besprochen, dass er seiner Mutter selbst sagt, dass er ab sofort die Verantwortung für sein Handeln und Tun übernimmt – auch was den Bereich der Ausbildung betrifft. Er war einverstanden und fand es auch absolut logisch – nach einigen klaren und netten Worten. Beim dritten Coaching-Gespräch beichtete Frank uns, dass er das nicht schaffen würde und er uns bittet, es ihr zu sagen. Auch hier sahen wir eine klare Form von „ich möchte meine Mutter nicht verletzen“ bzw. „das braucht meine Mutter“.
Das Telefongespräch mit der Mutter verlief spannend. Ich sagte ihr unter anderem, dass sie ihren Sohn loslassen darf. Ihm die komplette Verantwortung für seine Ausbildung, sein Leben, seine Noten und so weiter übergeben darf. Die fehlende Eigenverantwortung und fehlende Selbständigkeit bei Frank wird nicht absichtlich ausgeübt, sondern es sind unbewusste Programme, die funktionieren und deshalb so ablaufen. Warum sollte er an das Berichtsheft denken, wenn es seine Mutter macht. Warum sollte er selbständig anfangen zu lernen, wenn ihn seine Mutter daran erinnerte und auch noch teilweise zusammen mit ihm lernte. Sie meinte, „das kann ich erst nach der Zwischenprüfung“. Da war ich anderer Meinung und sagte ihr, dass es sofort sein darf. Sie meinte, was ist denn dann, wenn er durch die Prüfung fällt. Tja, was ist denn dann? Gerade dann ist es wichtig, dass er diese Konsequenz erfährt, daraus lernt und sein Leben selbst in die Hand nimmt. Und je nachdem für was er sich entscheidet – durchfallen oder nicht – darf er auch die Konsequenzen tragen. Die Mutter meinte: „…o.k., dann versuche ich das“… Und für uns Coaches ist klar, wenn jemand von „versuchen“ spricht, wissen wir die Erfolgsquote – genau – die geht dann gen null.
Bei den Gesprächen mit Frank, seiner Mutter und seinen Vorgesetzten sagten wir auch immer wieder, dass es aus unserer Sicht das Beste wäre, das Arbeitsverhältnis zu lösen. Das wollten allerdings alle Beteiligten so nicht umsetzen. Frank spielte seine Rolle wie sie ihm mehr oder weniger vorgegeben wurde und die Inhaber der Spenglerei gaben ihm – immer wieder 😉 – die letzte Chance.
Die Chefin schrieb mir in den folgenden Monaten sehr oft – immer mit gefühlten Hilferufen. Und es war mehr als 2 mal, dass ich ihr antwortete: “ …hebt das Ausbildungsverhältnis auf, bevor sich beide Seiten aufreiben.“ Irgendwann schrieb sie mir, dass es einen ganz schrecklichen Vorfall gegeben hat. Frank sei mit seiner Freundin überfallen worden. Sie beschrieb einzelne Dinge, die Frank ihr geschildert hatte. Eine sehr extreme Geschichte und für uns schon wieder ein Zeichen von „jetzt wird ein Ablassventil gesucht“. Klar, kann es nicht gut gehen, wenn Frank seine Gefühle nicht wahrnimmt beziehungsweise unterdrückt. Irgendwann kommen diese Emotionen dann zu Tage. Die letzten beiden Meldungen die ich im Verlauf von ca. 1 – 1,5 Jahren bekommen habe war, Frank ist jetzt in psychiatrischer Behandlung, weil er einen Nervenzusammenbruch hatte. Die letzte Meldung war: „juchhu, unser Azubi möchte einen Aufhebungsvertrag“.
Jetzt frage ich Sie/Euch: muss es soweit kommen? Klar, meinten es die Inhaber des Ausbildungsbetriebes nur gut, sogar sehr gut. Gut für Frank und gut für seine Eltern. Aber in diesem Fall waren diese guten Absichten absolut kontraproduktiv. Und auch durch dieses Beispiel steht für mich fest:
[Tweet „Ausbilder brauchen deutlich mehr Wissen, mehr Strategien, mehr Kenntnisse über Lehren und Lernen“]
in Bezug auf
– wie komme ich persönlich und inhaltlich an -> denn das immer wieder bei Frank der falsche Lernkanal angesprochen wurde und somit auch die Merkfähigkeit litt, war einfach abzulesen
– das Vergessen des Berichtsheftes eine Absicht hatte -> wir senden alle unbewusste Signale und verhalten uns entsprechend: so war die Absicht von Frank hinter dem Vergessen des Berichtsheftes Aufmerksamkeit – leider hat er dadurch negative Aufmerksamkeit bekommen und ich bin mir sehr sicher, er wollte gesehen und gehört werden. Auch das war für uns einfach zu erkennen.
– die fehlende Motivation, Dinge selbst in die Hand zu nehmen -> er war es nicht gewohnt, Verantwortung zu übernehmen, wirklich eigenen Ziele hatte er nicht. Ziele sind enorm wichtig für die intrinsische Motivation – die Motivation von innen heraus. Hier hätte der Ausbilder schon sehr früh Gespräche mit den Eltern führen und dadurch eine große Veränderung frühzeitig bewirken können.
– und so weiter und so weiter
Klar, sind wir deswegen (Lern-) Erfolgs-Experten, weil wir diese Dinge sofort und gleich erkennen und seit vielen Jahren darauf trainiert sind.
Ich finde es allerdings sehr wichtig, dass Ausbilder auch dieses Wissen in sich tragen, intuitiv merken, wenn etwas schräg läuft. Dinge nicht verstanden werden. Störendes Verhalten auftritt. Mit dem Wissen wäre es bei Frank gar nicht so weit gekommen. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte die Möglichkeit bestanden, die positiven Absichten hinter seinem Verhalten zu erkennen und die Ausbildung von Frank für alle angenehm und leicht zu gestalten.
Ich war nicht überrascht über die letzten Meldungen, nur enttäuscht, weil wir diesen Jugendlichen leider nicht vor diesen Zusammenbrüchen „retten konnten“. Und ganz wichtig: es passierte, obwohl Menschen es gut gemeint haben.
Wie einfach und schön kann Ausbilden sein: sehr schön, das erfahren wir immer wieder von den Ausbildern, die zu den Teilnehmern unserer AZUBI-Coach-Ausbildung gehören. Die Feedbacks zwischen den Präsenz-Seminaren sind immer schön – so zum Beispiel ein Fall, indem der Ausbilder schilderte, dass ein Auszubildender seiner 23 Azubis es nicht schaffte, den Werkzeugwagen ordentlich einzuräumen. Mit den Kenntnissen über Lerntyp und Macht der Sprache war es für ihn ein einfaches, dieses Verhalten zu ändern und das richtig erfolgreich. Davon gibt es noch viele Beispiele und ich könnte ewig weiter schreiben. Das mache ich dann in den nächsten Blogs ;-).
Ich wünsche Ihnen und Euch eine geniale Ausbildungszeit und freue mich auf Kommentare, Fragen und Anmerkungen (info@genialico.de)
Herzliche Grüße
Ihre
Alexandra Aldinger & Michael Müller
PS.: Übrigens halten wir auch AZUBI-Seminare: das Lernerfolgs-Training und das Training „Prüfungsstärke“
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