Warum erhalten so viele Kinder und Jugendliche Diagnosen?
Der Mensch benötigt anscheinend Schubladen. Sie dienen wohl der Orientierung und sollen das Leben einfacher machen.
Zeigt die Ampel rot bleiben wir stehen – zeigt sie grün dürfen wir gehen.
Das macht Sinn und gibt Halt.
Diese Regeln zur Alltagserleichterung sind bei der Kategorisierung von Menschen schon schwieriger.
Erwachsene werden in der Regel nach Job, Einkommen oder Besitz eingestuft.
Bei Kindern hingegen wird nach der Entwicklung oder dem Charakter geschaut.
So werden Kinder unter anderem mit den Diagnosen: LRS, Dyskalkulie, auditive Wahrnehmungsstörung, Persönlichkeitstörung, AD(H)S, Depression, Legasthenie, Störungen aus dem autistischen Spektrum, Zwangsstörungen, Anorexia, Entwicklungsstörungen, vielen somatischen Erkrankungen und so weiter betitelt.
Dies macht sicher oft Sinn, denn diese Diagnosen helfen im Idealfall bei der Entwicklung, Förderung und liefern große Dienste.
Nur leider ist dem oft nicht so.
Begleiterscheinungen
Durch den teilweise inflationären Gebrauch von (Lern-) Diagnosen erhalten die damit beeinträchtigten Kinder und Jugendliche reihenweise ein vermindertes Selbstbewusstsein.
Sie entwickeln Vermeidungsstrategien, haben eine emotionale Beeinträchtigung, ein verändertes Sozialverhalten, Probleme mit Nähe und Distanz, erleiden eventuell einen sozialen Rückzug, es beherrscht sie ein Gefühl der Leere, sie grübeln sehr stark, sie beschleicht ein Gefühl der Bedrängnis und so weiter.
All das wird sie bis zum Erwachsensein begleiten, es wird ein ständiger Begleiter bei allen anfallenden Entscheidungen sein.
Dabei ist es dann zumeist mit der Spontanität und Authentizität nicht weit her und das Kind/der Jugendliche verharrt sehr oft im Gefühl des Zweifels an sich selbst und der Umstände.
Der weitere Verlauf des Lebens ist dann oft dadurch gekennzeichnet, dass ein Makel gesät ist, der sehr oft „Oberhand“ über den gesamten Lebensverlauf nimmt und ihn bestimmt.
Fehlendes Vertrauen ins Kind
Eltern sind heute extrem verunsichert und haben kein Vertrauen in die eigene erzieherische Kompetenz und kein Vertrauen in ihr Kind.
Dabei haben sie große Angst, dass das Kind es etwa nicht zum Abitur schafft und damit sein ganzes späteres Leben verpfuscht sein könnte.
Von allen Seiten, sei es von Erziehern, Nachbarn, Verwandten, Lehrern, Freunden und Bekannten erhalten die Eltern dabei „Tipps“, wie sie „gezielt“ auf das „Wohl“ ihrer Sprösslinge einwirken könnten.
Dabei wird mit der „Lupe“ jede vermeintlich „unnormale“ Handlung seziert und beurteilt.
Schildern die Eltern dann etwa einem Arzt das Verhalten ihrer Kinder, wird Ihnen wohlmöglich „recht“ gegeben und der Kreislauf schließt sich.
Die Eltern fühlen sich dadurch oft bestätigt und kein Schuldgefühl drängt sich mehr in Ihnen auf.
Das alles treibt aberwitzige Blüten.
So erhalten sage und schreibe mittlerweile 20 bis 25 Prozent aller Jungen bis zu ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal die Diagnose, an ADHS zu leiden, einer Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität.
Dagegen halten – Individualität der Kinder fördern
Wichtiger als die „Schau“ nach individuellen Schwächen ist es, das Kind zu stärken und zu unterstützen.
Dabei ist unbedingt darauf zu achten, warum es zum Beispiel momentan gerade „falsch“ rechnet.
Woran liegt es? Welche Unterstützung benötigt es um selbstständig rechnen zu lernen?
Durch die immer individuelle Sicht auf jedes einzelne Kind mit seinen „Themen“,
generiert sich eine passende Zielorientierung.
Schafft das Kind es dann zum Beispiel mit passenden Lernstrategien den „Lernstoff“ zu bewältigen, entwickelt sich sukzessive das dringend benötigte Selbstbewusstsein.
Inflationär ausgesprochene Diagnosen bestärken unsere Kinder nicht.
Ganz im Gegenteil!
Herzlichst
Ihr
Michael Müller
Lerncoach, Gedächtnistrainer und Autor
Lerncoach- und Azubi-Coach-Ausbilder